Finanzielle Schwierigkeiten in der Gemeinde
In der Beschreibung der Situation der ersten Gemeinde in Jerusalem steht unter anderem folgendes:
»Alle die zum Glauben gekommen waren, bildeten eine enge Gemeinschaft und taten ihren ganzen Besitz zusammen. Von Fall zu Fall verkauften sie Grundstücke und Wertgegenstände und verteilten den Erlös unter den Bedürftigen in der Gemeinde.« [Apostelgeschichte 2,44-45]
Später wird dann berichtet, dass die Gemeinde in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Die Schwierigkeiten werden davon abgeleitet, dass Paulus in allen von ihm gegründeten Gemeinden Geld für die Gemeinde in Jerusalem sammelte. Über die Frage, wie diese Schwierigkeiten entstanden waren, gibt es eine weit verbreitete Meinung, die besagt, dass die Schwierigkeiten aus dem oben beschriebenen gemeinsamen Besitz und der Angewohnheit, daraus Dinge zu verkaufen um Bedürftigen zu helfen, kam.
In seinem Buch über die Verantwortung von Christen im Umgang mit Geld und Besitz schreibt Ronald J. Sider ebenfalls etwas zu den möglichen Ursachen der finanziellen Schwierigkeiten in der jerusalemer Gemeinde.
Zunächst betont er, dass er die eben dargestellte Meinung für sehr unwahrscheinlich hält, da die Gemeinde dem Willen Gottes entsprechend lebte und darauf achtete, dass es keine Armut in ihrer Mitte gab. Dann führt er folgende Möglichkeiten an:
- In Jerusalem gab es viele arme Menschen. Dies kam seiner Meinung nach aus einem Verhalten der Pilger, die dachten, dass es besonders anerkannt war in Jerusalem Almosen zu geben, weswegen die Aussicht auf Almosen für arme Menschen in Jerusalem am Besten war.
- Gleichzeitig lebten in Jerusalem viele Rabbinen, die für ihre Lehrtätigkeit keinen Lohn bekamen und ebenfalls auf Almosen angewiesen waren.
- Hierzu kommen dann noch die äußeren Einflüsse wie Natrurkatastrophen, die zu Missernten und in der Folge davon zu Nahrungsmittelknappheit und Hungersnöten führten.
Neben den erwähnten allgemeinen Gründen erwähnt er auch spezifische Gründe der Gemeinde:
- Das große Interesse Jesu an armen Menschen zog seiner Meinung nach eine unverhältnismäßig große Zahl verarmter Menschen in die Urgemeinde. [dies wurde meiner Ansicht nach durch den Lebensstil der Gemeinde noch verstärkt, da es nicht bei einem bloßen Interesse blieb sondern zu Taten führte]
- Dazu kamen die verschiedenen Verfolgungen, die ihren Teil zur Verarmung der Gemeinde beitrugen. Zum einen wurde es Christen eventuell schwer gemacht überhaupt an eine Arbeit zu kommen, zum anderen ist es schwer möglich im Untergrund einer geregelten Beschäftigung nachzugehen.
Die von ihm angeführten Gründe nennt er eine Auswahl aus einer Vielzahl von möglichen Gründen, daraus folgert er:
»…fehlgeleitete Großzügigkeit war sicherlich nicht der ausschlaggebende Faktor. Es war wahrscheinlich die ungewöhnlich große Zahl Armer in ihrer Mitte, die ein so dramatisches Teilen zur offensichtlichen Notwendigkeit werden ließ. Daß die Reichen unter ihnen mit überwältigender Großzügigkeit versuchten die verzweifelte Not am Leibe Christi zu lindern, beweist nicht naiven Idealismus, sondern bedingungslose Jüngerschaft.
Das in jeder Hinsicht durchgeführte Mit-einander-Teilen in der frühen Kirche muß eine ständige Herausforderung an die Christen jeden Alters sein.«
[Ronald J. Sider, Der Weg durchs Nadelöhr: Reiche Christen und der Welthunger [Neukirchen-Vluyn: Aussat, 1978], 98. Die Gründe finden sich auf den Seiten davor.]
Nach Ansicht von Sider wäre es denkbar, dass die im ersten Teil erwähnte Meinung zur Erklärung der finanziellen Schwierigkeiten zu einer Art Entschuldigung wurde, die es uns ermöglicht unseren Lebensstil zu rechtfertigen und uns damit über den Willen Gottes hinweg zu setzen.
Hi Daniel! Interessant, dass Du dieses Buch liest. Es war in den 80ern so eine Art Bibel der Fairtrader und Sozialen Gerechtigkeitstypen. Leider hat die Kirche damals es nicht geschafft hier Impulse zu setzen, Soziale Gerechtigkeit war in Deutschland etwas für die Öko Pfarrer, die Jesus nicht im Zentrum ihres Arbeitens und Denkens hatten. Edith Höll hat mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht. Sie wird sich bestimmt freuen, dass es wiederentdeckt wird.
Grüße
Björn
Hi Daniel
Danke, dass du Sider bringst, war und ist für mich einer der bedeutendsten „lebenden“ Vorbilder. Ich teile die Argumentation von Sider. Ich glaube auch, dass viele heute die späteren Schwierigkeiten der Jerusalemer Gemeinde als Ausrede brauchen, um nicht wirklich über die radikalen Implikationen der ersten Gemeinden nachzudenken…
Ein bemerkenswert guter Beitrag!