Gesetz und Evangelium

Durch die Vorbereitung des letzten Gottesdienstes kam ich wieder auf die ganze Frage nach dem Gesetz. In evangelischen Kreisen wird schnell betont, dass das Gesetz für uns heute nicht mehr gilt, da Jesus es ›erfüllt‹ hat – ›erfüllen‹ wird in diesem Zusammenhang dann schnell so verstanden, als würde hier ›abgeschafft‹ stehen. Dieser Gegensatz resultiert aus einer ›entweder/oder–Haltung‹ nach der entweder das Gesetz oder die Gnade für mich gelten kann – beides zusammen wäre demnach unmöglich. Auch wenn es in Diskussion zu diesem Thema schnell so aussieht, als  würde ich eine gesetzlich-unbiblische Position vertreten, scheint mir etwas an meinen Gedanken dran zu sein:

»Ich  versichere euch: Solange Himmel und Erde bestehen, wird kein i-Punkt und kein Komma im Gesetz gestrichen. Das ganze Gesetz muss erfüllt werden.«
[Matthäus 5,18]

Um mich ein bisschen tiefer damit auseinander zu setzen lese ich gerade den Abschnitt aus der Bergpredigt und begleitend The Divine Conspiracy von Dallas Willard. Sehr cooles Buch, soweit ich das nach einem Kapitel sagen kann. Auf jeden Fall ist mir sympathisch, dass er es schafft ›sowohl als auch‹ zu denken und dadurch die ganze Frage nach Gesetz und Evangelium gut anzugehen.

Wie wir bereits an der eben zitierten Aussage Jesus gesehen haben, kann er nicht so verstanden werden, als hätte er das Gesetz abgeschafft. Auch für die Menschen, die jetzt sagen, dass es ja um das Gesetz in uns geht und nicht um das Gesetz welches in den 5 Büchern von Mose beschrieben wird, möchte ich sagen, dass das in unsere Herzen geschrieben Gesetz genau dem Inhalt des Gesetzes bei Mose entspricht – wäre das nicht der Fall würde ja nur unser Gewissen [je nach Prägung und Umfeld] entscheiden, was Gottes Wille ist, und wie er zu leben ist. Ich weiß, dass ich mit dieser Aussage so wirke, als hätte der Heilige Geist keinen Einfluss darauf, sehe das jedoch nicht so. Für mich ist es gerade der Heilige Geist, der uns an die Sachen erinnert… aber wo etwas nicht mehr gelten soll, wieso sollten wir daran erinnert werden?

Willard bereitet seine Vorstellung dessen, wie bei Jesus der von [evangelischen] Christen aufgebaute Widerspruch zusammen kommt, in der Weise vor, dass er zunächst davon redet, dass die Erfüllung als Selbstzweck bzw. als Einziges sehr wahrscheinlich nicht zur Erfüllung führt. Im Falle der Pharisäer und Schriftgelehrten hatte es zu jener Zeit wohl dazu geführt, dass sie sich nur noch um die Erfüllung im Sinne von Handlungen konzentriert hatten. Diese Konzentration führte dann zu einer Art Zaun, der die Menschen in ihren Handlungen davor schützen sollte eines der Gesetze [und somit das ganze Gesetz zu übertreten]. Willard weist darauf hin, dass es bei der Erfüllung des Gesetzes um etwas mehr geht als um die Handlungen. Seiner Ansicht nach spricht Jesus davon eine Person zu werden aus deren Innerem die Handlungen automatisch fließen…

Um dies zu verdeutlichen führt er ein Bild Jesu an: Jesus hatte davon gesprochen, dass manche nur auf die äußeren Sachen, wie Handlungen, achten und sich so verhalten wie jemand der Geschirr abwäscht und davon ausgeht, dass von der äußerlichen Reinigung das ganze Geschirr sauber wird. Musste dabei sofort an einen Topf denken, in dem man Tomatensoße gekocht hat – wenn ich den nur von außen abwasche ist er innen noch lange nicht sauber [kurze Pause: stell dir eben mal ein schönes weißes Abtrocknetuch vor, nachdem es den äußerlich gereinigten Topf innen abgetrocknet hat…]. Mache ich mich jedoch daran erst mal innen den Topf sauber zu machen – genügt ein kurzes über das Äußere fahren und der Topf ist sauber. [Vgl. Mt 23,25-26]

»Actions do not emerge from nothing. They faithfully reveal what is in the heart, and we can know what is in the heart that they depend upon. Indeed, everyone does know. That is a part of what it is to be a mentally competent human being. The heart is not a mystery at the level of ordinary human interactions. We discern one another quite well.« [Dallas Willard, 144]

Insofern sieht er in den Aussagen Jesu zum Gesetz nicht ein Widerspruch zum Gesetz selbst, sondern ähnlich wie wir das ausgedrückt haben ein bewusstes hören auf den Gott-Beat. Die Erfüllung des Gesetzes geschieht demnach nicht durch ein ›tun des Richtigen‹ allein, sondern spielt zusammen mit etwas ›Gutem‹ das in uns lebt und der Tatsache, dass wir den Willen Gottes ausleben.

[dazu könnte man noch so viel mehr schreiben, dieser Eintrag ist jedoch schon lange genug… weswegen ich jetzt mal an dieser Stelle aufhöre]

10 Reaktionen

  1. Hallo [depone],

    zum einen erlebe ich gerade in der evangelischen Kirche einen großen Bezug und starke Verbindlichkeit zum Thema ‚Gesetz und Evangelim‘, zumal es ja gerade der luth. Tradition entspricht, genau dies zu predigen.

    Zum anderen möchte ich (nicht gegen Deine Aussage, sondern ergänzend) noch was anfügen: Wenn Jesus meint, er hat das Gesetz erfüllt, dann insofern, als dass es nun überhaupt keine Rolle mehr spielt, wie man vor Gott dasteht. Er hat alles, was uns von Gott trennt auf sich genommen -> dem Gesetz aufgrund dieser Motivation zu gehorchen, kann man sich folglich komplett sparen (Röm. 10,4: Denn Christus ist des Gesetzes ENDE!!!; wer an den glaubt ist gerecht).
    Wozu also (noch) das Gesetz? Das geniale daran: es hat meiner Meinung nach einfach Selbstzweck. Mein Lieblingsspruch und Lebensmotto lautet (frei nach Victor Frankl): Der Sinn das Gute zu tun, liegt in sich selbst und bedarf keiner Rechtfertigung durch einen Nutzen oder Gewinn – auch keinen geistlichen -> Sich so gut es geht an die Weisungen Gottes (ob die inwendigen oder äußeren ist dabei gleich) zu halten, hat in sich schon Sinn genung, einfach weil es richtig ist :-). Jeder Versuch aber, das ganze doch wieder in Verbindung mit der Stellung und Beziehung zu Gott zu setzen, endet meistens in zermürbenden gesetz-christlichen Biographien. (Röm. 10,1-3)

    liebe Grüße und be blessed

    Stephan

  2. Hallo Stephan,

    danke für deinen Kommentar. Um diese Diskussion in der Tiefe weiter zu führen müssten wir denke ich zunächst klären, ob Jesus in Mt 5 dasselbe meint, wenn er Gesetz sagt, wie Paulus in Röm 10.

    Es geht meiner Ansicht nach im Gesetz nicht um die Stellung vor Gott, sondern um das Leben selbst – leben, so wie Gott es sich gedacht hat. Und weil ich das glaube sehe ich den Unterschied zwischen AT und NT nicht so stark, wie ich ihn bei dir herauslese.

    In den evangelischen Kreisen, in denen ich verkehre scheint mir das Motto, unter dem über das hier angesprochene Thema geredet wird »Gesetz oder Evangelium« zu lauten, was mit dem ›sola gratia‹ Luthers begründet wird – von daher sehe ich da im Verständnis schon einen Unterschied.

  3. Hm ich kenne eher die von der Heiligungsbewegung durchgesetzte Position, die genau deinem Blogpost entspricht. Ich habe noch niemanden aus evangelikalen Kreisen kennengelernt, der predigt, dass das Gesetz keine Relevanz hat.
    Aber; wenn ich ehrlich bin, wünschte ich es wäre so.
    Hast du mal 2.-5. Mose gelesen? Für mich ist das meiste darin so fremd dass ich gar nicht wollte, dass das so sehr in den Vordergrund kommt. Ich will nicht, dass Kinder gesteinigt werden, weil sie ihren Eltern nicht gehorchen.
    Ich will nicht, dass bei Vergewaltigungen, der Täter das Opfer heiraten kann. Ich will nicht, dass Männer ihre Bärte nicht mehr schneiden.
    Verstoist was ich meine?
    Oder meinst du mit Gesetz nicht DIESES Gesetz und ich hab was falsch verstanden?

  4. Schöne Diskussion. Das Geniale an Willards Buch ist meinem Empfinden nach, daß er sauber herausarbeitet, was eigentlich die „Idee“ Gottes hinter den Geboten war/ist. Nämlich das Doppelgebot. Wer Gott und die Menschen von Herzen liebt, wird niemals dahinkommen, seinen Eltern nicht zu gehorchen, seinem Bruder zu fluchen, im Herzen Ehebruch zu begehen usw. Und dazu will uns Gott umgestalten, so dass wir immer mehr dahin kommen, einfach automatisch, aus dem Herzen heraus, nach der Bergpredigt zu leben. Dazu habt ihr mit dem Gott-Beat ein senstationelles Bild geschaffen, Respekt! Aber vielleicht bin ich zu schnell und greife schon vor, bin gespannt, was Dich bei DivineConspiracy noch bewegt.

    Nebenbei: Das Rasier-Verbot gilt nur für ein spezielles Gelübde, wobei ich aber nichts gegen Bärte habe, wie auf meinem Blog erkennbar wird ;-)

  5. danke für die kommentare.

    mir geht es schon um das »gesetz« – über den begriff müsste auch mal dringend gebloggt werden – in dem sinn, wie DoSi schreibt, möchte ich nach dem gott-beat darin suchen. spannende fragen, gerade weil es an manchen stellen bedeuten könnte in der bibel die kulturplatte zu sehen und diese aus dem mix zu faden – was meinst du dazu DoSi?

  6. Wie wird jetzt entschieden, was an der Bibel die Kulturplatte und was Gott-Beat ist?
    Ist Kulturplatte das, was wir heute nicht nachvollziehen können und was uns brutal erscheint? Ich will ebenso nicht dieses alte Gesetz durchsetzen, das ich nicht nachvollziehen kann, aber weiß auch nicht nach welcher Norm ich etwas aus dem Mix faden soll – vielleicht indem ich die große Linie der Bibel verfolge und bei Jesus verstehe, was der Traum und Beat Gottes in dem alten Gesetz war? Ohne mich an dieser großen Linie zu orientieren hätte ich schon vieles rausgefadet, was ich erst später als wertvoll erkannt habe.
    Gruß,

    Julian

  7. Ich glaube da bin ich ziemlich nahe bei Julian. Muß die ganze Schrift nehmen und dann mal schauen. Meine Inspirationslehre verbietet mir eigentlich, bei dem, was eindeutig als Reden Gottes gekennzeichnet ist, kulturelles Gepräge entdecken zu wollen. Sicherlich wurde anderes später revidiert, da gilt für mich: NT schlägt AT. Arg viel weiter bin ich da noch nicht gekommen…

  8. danke für die kommentare ihr beiden.

    finden wir vielleicht nicht gerade darin die kulturelle platte, wo sachen in kulturspezifischer weise gesagt wurde? in der weise, dass gott sich genau so ausgedrückt hat, dass es in der kultur verstanden wurde, der sinn [gott-beat] für uns auch gilt, aber manche illustration nicht mehr wirklich passt?

    wenn ich euch richtig verstehe, würde die ›große linie‹ im prinzip das gleiche sein wie der ›gott-beat‹, oder?

  9. Ich denke, wir meinen mit Gott-Beat und der großen Linie etwas ähnliches. Beim Herausfaden der kulturellen Platte finde ich noch die Frage spannend, ob uns das, was uns irritiert, nicht noch helfen kann den Gott-Beat genauer wahrzunehmen.
    Und: Ja, ich glaube, dass vieles, was in der Bibel steht mit dem Kontext zusammenhängt, in dem es steht.
    Gruß,

    Julian

  10. [Bedenkenswert] Die Melodie Gottes – Erfülltes Leben-in-Gemeinschaft…

    Die Kameraden von Kubik sind ja im Moment dabei, sich ein wenig neuzudefinieren. Dabei haben sie ein schönes Bild entwickelt: Der Glaube eines jeden ist eine Mischung aus Gottes Idee und der Kultur des Menschen, so wie ein DJ aus zwei Platten einen Mi…

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