Von Containern und Lebenwesen

Mit meinem Eintrag zum Paradigmenwechsel durch Handeln habe ich einen Gedanken angefangen auszudrücken, der mich in meiner Beschäftigung im Zusammenhang mit meiner Master-Arbeit stark beschäftigt.

Es scheint mir als würden wir in Deutschland zunächst alles durchdenken wollen, bevor wir überhaupt beginnen zu handeln. Dies scheint eine normale Entwicklung zu sein, wenn wir unser Philosophiegeschichte anschauen. Die Menschen in England und den USA scheinen viel eher von der pragmatischen Seite an das Leben heranzugehen, was sich wiederum aus ihrer Geschichte ableiten lässt [so viel zu den Verallgemeinerungen – ihr wisst was ich meine].

Diese Art von Gedanken auszugehen hat sich natürlich auch auf unser Verständnis von Paradigmenwechsel und damit auch auf den ganzen Bereich von Lehren und Lernen ausgewirkt. Wir bringen zunächst einmal Informationen, die von unseren Zuhöreren aufgenommen werden sollten. Vielleicht könnte man diese Art des Lehrens mit dem Füllen von Containern vergleichen. Es wird Information angeboten – mehr als verarbeitet und praktisch gelebt werden kann – die dann erst einmal in Notebooks, Moleskines usw. eingelagert wird. Manchmal häuft sich eine Menge Wissen an, ohne dass dies je in die Praxis kommt.

In seiner Darstellung der Lehrweise Jesus und der Rabbis in seiner Zeit stellt Dallas Willard folgendes fest:

»We must recognize, first of all, that the aim of the popular teacher in Jesus‘ time was not to impart information, but to make a significant change in the lives of the hearers. Of course that may require an information transfer, but it is a peculiarly modern notion that the aim of teaching is to bring people to know things that may have no effect at all on their lives.«
[Dallas Willard, The Divine Conspiracy: Rediscovering our hidden life in God [San Francisco: Harper, 1997], 112.]

Theoretisch werden wir alle [zumindest die Meisten] damit übereinstimmen, dass es uns beim Lehren auch um das konkrete Leben geht und nicht um Containerwissen. Unsere Art zu Lehren spricht jedoch meist eine andere Sprache. Die Rabbis und so auch Jesus lebten mit den Menschen zusammen und griffen bestimmte Situationen und Handlungen auf. Es ging ihnen nicht in erster Linie darum Informationen weiterzugeben, sondern Hilfestellungen zu einem ›erfüllten Leben‹ zu geben. Dies Art zu Lehren und zu Lernen würde ich situatives Lehren/Lernen nennen. Es ist auf das Leben, die Handlungen ausgerichtet und ereignet sich im normalen Lebenskontext. Willard geht so weit, zu sagen, dass Dinge die auf diese Art gelernt werden nicht aufgeschrieben werden müssen, da sie uns in Fleisch und Blut übergehen.

Diese Beobachtungen bringen mich dann zu der Frage, ob nicht unsere Akademien und Gemeinschaften zu statisch sind, um solches Lernen zu ermöglichen? Schaffen wir es, das Lehren und Lernen wieder aus der Containermentalität zu befreien und als Lebenwesen vernetzt zu denken und ›für das Leben‹ aus den Situationen heraus zu lernen? Wenn wir träumen dürfen: wie würden wir uns dann Lernen in der Gemeinschaft oder einer Akademie vorstellen.

[Interessierte LeserInnen können Gedanken zu diesem Themenkomplex auch bei Haso, bei Storch, bei Josha, bei Daggi und auf meinem globalen Blog verfolgen.]

2 Reaktionen

  1. da hat willard einen guten gedanken wenn er sagt, dass diese art von lehren ein neues phänomen ist.
    ich vermute, das hat mit der wissenschaftsentwicklung zu tun. zu zeiten jesu gab es ja so was wie die moderne wissenschaft nicht (so weit ich mich erinnere spricht man erst seit etwa paracelsus von wissenschaft). da es heute viel um grundlagenforschung geht ist der praktische teil des wissens schon fast ausgesourcet aus dem „normalen“ wissenschaftsbetrieb. das gilt natürlich für die naturwissenschaften in besonderem masse, hat aber auch einfluss auf die geisteswissenschaften, in denen man sich viel mit der exegese und zusammenstellung alter quellen beschäftigt. diese sachen mögen trocken und praxisfern erscheinen (was sie auch sind!), aber sie bereiten neuerungen vor. ich glaube, dass änderungen gar nicht mehr möglich sind ohne dass vorher leute etwas ausgetüftelt haben, was scheinbar gar keinen praxisbezug mehr hat sondern als reine wissens-forschung erscheint.

    ich sehe das z.b. auch in der ganzen emerging-church sache. es gibt vor-denker die unbequeme fragen stellen und damit andere inspirieren etwas zu ändern – die aber selbst eben theoretiker sind. wenn es einen paradigmenwechsel in der gemeinde gäbe, würde der sicherlich kommen weil die gemeinden durch praktische ansätze inspiriert würden (also durch handlungen), aber diese wären wiederum aus dem elfenbeinturm inspiriert. also ist die letzte triebfeder der gedanke, nicht die tat.

    rein logisch denke ich (vermutlich blogge ich das demnächst einmal), dass keine handlung möglich ist, die nicht vorher gedacht wurde. jeder hat etwas vor bevor er es ausführt… doch dazu dann demnächst mehr unter http://www.storch.jfrs.de

    danke für die nette diskussion, die im moment überall rumgeht. finde ich sehr anregend und wertvoll. leider fehlt mir im moment sehr die zeit weil es so kurz vor willofreak ist.

  2. Ich lese gerade „Die Pädagogik der Unterdrückten“ von Paolo Freire, der sich auf dem Hintergrund seiner lateinamerikanischen Alphabetisierungskamagne stark mit dem Lehrer-Schüler-Verhältnis auseinandersetzt. Er benutzt ein ähnliches Bild wie das vom Container für unser europäisches Bildungssystem: Er nennt es die Bankiers-Methode. In diesem Bild ist das Gehirn des Schülers ein leeres Konto, auf das der Lehrer Wissen einzahlt. Für ihn ist dieses Bildungssystem tödlich für jede Art des kreativen Lernens und damit für eine Entwicklung des Schülers, die über den Status Quo des Lehrers/der Gesellschaft hinausgeht.
    Er plädiert daher für ein Lernen im Dialog, in dem sowohl Lehrer als auch Schüler zu gleichberechtigten Partnern im Lernprozess werden.
    Ob Jesus auch ein Lernender war?
    Ich hoffe, Daniel, du gibst mir irgendwann eine exegetische Antwort. Denn leider ist das nicht gerade meine Stärke ;o).

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