N.T. Wright zu Postmoderne

In der letzten Woche habe ich mit Begeisterung das Buch ›The Last Word: Scripture and the Authority of God‹ von N.T. Wright gelesen. Und wie ich bereits in einem älteren Eintrag geschrieben hatte interessiert es mich immer was andere zur Postmoderne schreiben. Da Wright einen Absatz im Zusammenhang von Bibel und Kultur explizit diesen Gedanken widmet, möchte ich einige Gedanken daraus hier wiedergeben.

Er beschreibt drei Aspekte der Postmoderne, die seiner Ansicht nach zu einer gewissen Stimmung der Unsicherheit beitragen:

1. Die großen Erzählungen wurden angegriffen und dekonstruiert.
Während in der Moderne von Denkern wie Voltaire vor allem die großen Erzählungen der Kirche angegriffen wurden, kamen in der Postmoderne alle großen Erzählungen an denen Menschen ihr Leben ausrichten, auch die Steckenpferde der Moderne ›Fortschritt‹ und ›Aufklärung‹, ins Gerede. Da die Bibel nicht nur irgendwelche Geschichtchen über Gott, Welt und Menschen erzählt, sondern in ihrer kanonischen Form eine große umfassende Geschichte darstellt, wird sie als eine dieser großen Erzählungen wahrgenommen gegen die Widerstand zu leisten ist. Es wird angenommen dass es sich auch bei ihr um eine Meta-Erzählung handelt, die zum Vorteil einer bestimmten Ansicht erzählt wird.

2. Das Verständnis von Wahrheit wurde hinterfragt und angegriffen.
Zwei Bedeutungsaspekte von Wahrheit, die historische Faktizität und der inhaltliche Wahrheitsgehalt, werden von einigen unterschieden. in der Moderne konnte eine Tendenz beobachtet werden, mit der die Faktizität auf alle Bereiche der Wahrheit angewandt wurde. Es wurde versucht alles in eine Kiste zu packen als handle es sich um eine Versuchsreihe der Naturwissenschaften die ein klares Ergebnis ans Tageslicht brachten. Diese Versuche haben sich selbst überlegt, vor allem im Bezug auf Geschichte und Soziologie.

Im postmodernen Denken bewegte sich das Pendel in die andere Richtung, allen Aussagen über Wahrheit, auch wissenschaftlichen Erkenntnissen, wurden Machtinteressen unterstellt. Dadurch kollabierten alle Aussagen über Wahrheit in Machtspiele. Es wurde immer weniger möglich zu sagen “so ist es,” dafür wurden Variationen von “meiner Ansicht nach” oder “ich habe mich entschieden das so zu sehen” salonfähig. In diesem Zusammenhang kam es auch zum Siegeszug des Konstruktivismus. Es erscheint am besten zu sagen, dass es sich bei einer Wahrheitsaussage um ein Aussage handelt die wir in einer bestimmten Kultur so sehen. Aus bewährten, nachprüfbaren Konzepten wurden Aussagen die eine bestimmte Kultur ihrer Sicht der Wirklichkeit entsprechend konstruiert hatte. Diese Art zu denken, die bis vor einiger Zeit noch fast völlig unbekannt war hat sich zu einer Normalität entwickelt, die paradoxerweise schon fast absolut gesehen wird.

3. Die persönliche Identität wurde mehr zu einer Frage als einer Antwort.
Die Frage danach wer ich bin kann nicht mehr so einfach beantwortet werden wie das einmal der Fall war. Menschen nehmen sich nicht mehr als diejenigen war, die ihres eigenes Glückes Schmied sind oder als Kapitän der Seele steuern, sondern finden in ihrem Inneren ein Durcheinander wieder und fühlen sich durch unterschiedlichste Impulse getrieben. Die Heisenberg’sche Unschärferelation, die davon ausgeht, dass sich das beobachtete durch die Beobachtung verändert, findet im Blick in den Spiegel einen erschreckenden Widerhall. Das was in der Bibel über unsere Identität als Geschöpfe gesagt wird knallt unwiderstehlich mit den Identitätsgedanken unserer Gesellschaft zuammen – es werden jedoch nicht nur die Identitätsgedanken der Christen in Frage gestellt, sondern jegliche Identität die gefestigt und gesichert erscheint.

Durch diese drei Aspekte sieht er (a) die Wahrnehmung der Welt, (b) der Realität und (c) der eigenen Persönlichkeit gefährdet in einen Morast der Ungewissheit zu versinken, der so weit geht, dass nicht mal mehr gewusst werden kann was “wissen” bedeutet. Für Menschen die sich selbst und die Welt in dieser Weise wahrnehmen—ein Blick in Magazine oder Zeitungen zeigt, dass es sich dabei um die derzeitige kulturelle Luft handelt die von den meisten Menschen geatmet wird—wurde die Ungewissheit in allen Bereichen zu einem regelrechten Lebensstil. In dieser Ungewissheit sieht er auch den Wunsch mancher nach Gewissheit und damit das Ansteigen fundamentalistischer Tendenzen begründet.

Da er weder für eine Variante der Moderne, eine Rückkehr vor die Moderne, noch für eine Kapitulation unter den Postmodernismus ist, hofft er in seinem Buch und Schaffen einen Weg zu gehen, der ein Leben in und für Gottes Welt, in der Gemeinschaft mit den Menschen Gottes möglich macht, so dass er als Christ integer und der Bibel angemessen zu Leben in der Lage ist.

[deutsche Zusammenfassung der Seiten 6-10 aus N.T. Wright, The Last Word – Scripture and the Authority of God.]

4 Reaktionen

  1. danke für die zusammenfassung. bei 3. sehe ich gar nicht so stark den verunsicherungsfaktor. inzwischen kann man gar nicht mehr anders als zu versuchen, sich selbst eine identität (die auch wieder im fluss ist / sein wird) zusammen zu basteln. aber das kann auch als (gute) herausforderungen verstanden werden. – naja, es gibt einige, die sind damit überfordert, anderen macht es vielleicht sogar viel spass.

  2. So, ist dann Wrights kritischer Realismus ein besserer, biblischerer Weg? Wohl kaum… Weil es ein im Grunde philosophischer und nicht biblischer Weg ist, wird auch er überholt sein (wenn er es nicht schon ist)…

  3. vielen dank für die kommentare.

    @beisasse: sehe das mit der guten herausforderung der ›identitätsfindung‹ ähnlich. von wright lass ich mich hier neu motivieren auch die aspekte der identität zu beachten von der in der bibel die rede ist.

    @sebastian: sehr lustig wie du immer irgendwelche dualismen konstruierst. scheint so als hättest du den biblischen weg gefunden, der nichts mehr mit irgendeiner philosophie zu tun hat – aber gerade da scheint mir ein trugschluss zu liegen.

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