Institutionalisierung die Zweite

In meinem Eintrag ›Wider die Institutionalisierung‹ habe ich vier Knackpunkte zur Vermeidung von Institutionalisierung aus Josh Packards Zusammenfassung dargestellt, und nur in einer Andeutung über seine Einleitung zu den Gefahren der Institutionalisierung gesprochen.

Durch die beiden sehr guten Kommentare von Yotin und Peter fühle ich mich nun angeregt, auch noch auf die Einleitung einzugehen, um dadurch etwas mehr Licht in Joshs Verwendung des Begriffs ›Institutionalisierung‹ zu bringen.

Zunächst möchte ich den ersten Knackpunkt anführen, den Josh zu Beginn der Einleitung nennt:

Für Gruppen und Menschen, die Unterschiedlichkeit und individuellem Ausdruck einen besonderen Wert beimessen, sind Routinen gefährlich.

Aus diesem ersten Knackpunkt ergeben sich für mich bereits einige Fragen bezüglich der Wertung von Unterschiedlichkeit und individuellem Ausdruck, da es in Gruppen oder Gemeinschaften meiner Ansicht nach um mehr geht, bzw. andere Schwerpunkte das Verbindende sind. Doch um diese Gedanken zu vertiefen müsste man wohl zunächst die Dissertation lesen und dabei beachten, dass es sich um eine empirische Arbeit handelt.

Josh fährt mit der Feststellung fort, dass wir unsere Routinen auf eine Art verinnerlichen, durch die wir die Begründungen der Routinen immer mehr als gegeben voraussetzen. Auf diese Weise entschwinden die Routinen dem Zugriff der Gemeinschaft und werden ohne nachzudenken ›blind‹ praktiziert. Die einzigen, die nach diesen Ausführungen noch Zugriff auf die Gestaltung der Routinen haben sind die Professionellen (wie z.B. Pastoren). Wird Institutionalisierung in diesem Sinne verstanden, wird sie zu einer Gefahr für Menschen und Organisationen, die daran interessiert sind den individuellen Ausdruck zu fördern und zu erhalten. Eine weitere Gefahr von Institutionalisierung scheint auch in der Homogenisierung sowohl des allgemeinen Ausdrucks als auch der Organisation selbst zu liegen.

Die Untersuchungen an Gemeinschaften die sich zur Emerging Church Bewegung zählen haben darüber hinaus ergeben, dass Organisationen auch dann überleben und sich gut entwickeln können, wenn sie der Institutionalisierung widerstehen. Um erfolgreich der Institutionalisierung zu widerstehen bedarf es einer gewissen Zielgerichtetheit und einiger Strategien, die im weiteren Verlauf der Zusammenfassung dargestellt werden. Die erwähnten Knackpunkte der Strategien habe ich in dem Eintrag ›Wider die Institutionalisierung‹ kurz dargestellt.

Josh sieht in der ›theory of organizational resistance‹ die Chance eine weitere Sicht der Möglichkeiten von Organisation zu bekommen. Dazu mehr auf der Site zu Organizational Theory.


Die Zusammenfassung gibt es nach wie vor hier:
›Organizational Structure, Religious Belief and Resistance: The Emerging Church‹

13 Reaktionen

  1. Unabhängig davon, dass ich den Ergebnissen dieser Studie schlichtweg nicht glaube, versteh ich gar nicht, wie man rausfinden konnte, dass „Emerging Churches“ auf lange Sicht wachsen und gedeihen, indem sie der Institutionalisierung widerstehen – so lange gibts die doch noch gar nicht … Die katholische Kirche dagegen, die man ja vielleicht als Paradebeispiel für eine institutionalisierte Kirche anführen könnte und ja nun im Gegensatz dazu wirklich ein paar Jahre auf dem Buckel hat, wächst und gedeiht ja weltweit nach wie vor in ganz erstaunlicher Weise.

    Ich würde den oben zitierten Satz so umdichten:

    Für Gruppen und Menschen, die ihre wahre Identität finden wollen, sind Routinen unerläßlich.

  2. ich finde es sehr interessant wie dieses thema dazu in der lage ist zu polarisieren.

    wenn wir davon reden, dass es emerging churches noch gar nicht so lange gibt, müssen wir jedoch darauf achten unsere situation in deutschland nicht auf amerika zu übertragen.

    hast du die zusammefassung gelesen? wenn das der fall ist, dann dürfte dir nicht entgangen sein, dass josh davon spricht, dass institutionalisierte organisationen auf lange sich bestehen und wachsen, dass sich seine studie jedoch einem anderen phänomen widmet, und dass in dem ansatz des organisationellen widerstandes eine möglichkeit liegt neue perspektiven der organisation zu entdecken.

    mit der neigung zu institutionen wäre ich allerdings im emerging church kontext sehr vorsichtig. vor allem weil der begriff, den wir zur charakterisierung unserer auseinandersetzung mit gemeinde wählen ›emerging/emergent‹ aus der emergenztheorie kommt, und diese zutiefst institutionskritisch ist.

    es scheint mir, als zeigten sich an der frage auch die unterschiedlichen ansätze, mit denen wir uns am emergenten dialog beteiligen…

  3. okay. nun habe ich die zusammenfassung brav ausgedruckt und werde sie heute nachmittag lesen. jetzt schon einmal aber ein kommentar:

    in deiner obigen darstellung hört sich das so an, als sei routine eine schleichende gefahr. aber menschen, für die routine keinen wert darstellt (was sehr legitim ist), schaffen es auch immer wieder auf spielerisch leichte weise, sie zu sabotieren. indem sie z.b. notorische zu-spät-kommer sind.

    darin liegt eine ganz simple strategie, die die absichten der „professionellen“ spielend leicht umgehen kann. so hilflos sind „individualisten“ der routine gar nicht ausgesetzt. und: sie sind durchaus fähig, ihren eigenen wert auf den tisch zu bringen.

  4. Ich hab das nicht gelesen und insofern kann ich natürlich qualifiziert gar nix zu der Arbeit sagen. Aber der zitierte Satz oben ist ja doch sehr allgemein formuliert und da würde ich eben nicht nur nicht zustimmen, sondern auch gerade meinen, dass Emerging Churches hier Wiederentdeckungen in der Kirchengeschichte in Sachen Gottesdienstgeschehen und Spiritualität machen, die gerade das Ritual und die Gewohnheit betonen und die Schönheit dessen sehen.

    Ich finde es auch OK, wie zum Beispiel Doug Pagitt zu sagen: „Wir haben überhaupt kein Interesse daran, wie die mainline churches eine eigene Tradition zu bilden. Vielleicht gibts uns ein paar Jahre und dann sind wir wieder weg und das ist OK so. Dann gibts halt was anderes.“ Das ist im Hinblick auf manche neuen Gemeinden vielleicht auch realistisch, heißt aber aus meiner Sicht noch lange nicht, dass Institutionen per se Wachstum verhindern. Aber das ist ja in Kommentaren zum ersten Beitrag schon gut gesagt worden, dass es darum geht, Institutionen als dienende und zielführende Komplexe zu führen. Und wenn dabei das Stichwort von der kontinuierlichen, „institutionalisierten“ Kritik an der Instituition hilft, meinetwegen gerne.

  5. Hallo und guten Morgen ! Ich habe mich nun durch die Begrifflichkeiten gewühlt und werde versuchen, einen einigermassen sinnvollen Text von mir zu geben, da mich dieses Thema sowohl psychologisch/soziologisch als auch theologisch interessiert. Ich bitte um Verständnis, wenn meine Beobachtungen nicht sofort einen Sinn ergeben.

    Prinzipiell glaube ich daran, dass Gewohnheiten wertfrei sind und sowohl positive Auswirkungen wie auch negative Auswirkungen auf eine Gruppe haben können.

    Andererseits bin ich davon überzeugt, dass eine Reflexion bestimmten Verhaltens weniger negative Folgen als positive und erneuernde Gedanken als Frucht bringen kann, da sie eine Bestätigung oder eine Ablehnung mit folgender Änderung des Verhaltens herbeiführen kann.

    So, das ist mein Senf dazu und ich hoffe, dass er nicht zu verwirrend war ;).

    Viele Grüße vom Dörfchen Jöhlingen

    Martin

  6. nach deiner einleitung erwartete man eine dreiseitige abhandlung, martin. stattdessen haben deine begriffsswühlungen anscheinend dazu geführt, dass du in wenigen sätzen stimmige aussagen treffen konntest. – ich versuche mich auch mal in kürze:

    wir suchen nach routinen, die hilfreich und nützlich sind. alle anderen nicht-reflektierten routinen können entsorgt werden.

  7. @Beisasse : Danke ;) Möchte ergänzen, dass auch nicht-reflektierte Routinen positiv sein können wie z.B. das Schütteln der Hände bei der Begrüssung..

  8. Danke für alle Kommentare bisher. Mir ist sehr daran gelegen, dass wir einen Austausch über diese strukturellen Aspekte unseres „Gemeindealltags“ führen.

    Um einige Unklarheiten anzugehen werde ich in den nächsten Tagen ein kleines E-Mail-Interview mit Josh machen. Wenn Du dazu eine Frage an Josh hast – nur her damit! (als Kommentar oder via Kontaktformular) Danke.

  9. wie wär’s mit: „was haben sie bloss für schlechte erfahrungen mit routine gemacht?“ – aber je länger ich drüber nachdenke, desto absurder erscheint es mir, dass man so blind dafür sein kann, dass einige rhythmisierte abläufe nützlich sein können. aber vielleicht bedeutet „routine“ auf amerikanisch ja was ganz anderes? wählt man z.b. stattdessen den begriff „rhythmus“ hört sich das gleich ganz anders an.

  10. Institutionalisierung?…

    In den nächsten Tagen werde ich ein kleines E-Mail-Interview mit Josh Packard zu seinen Erkenntnissen bezüglich Institutionalisierung und seiner ›Organisationstheorie des Widerstandes‹ machen. Über deine Fragen dazu freue ich mich se…

  11. […] think about his findings here in Germany and posted some thoughts onto my blog. The reactions on my postings showed the need to dig deeper on that topic, so I emailed Josh to ask him for an interview […]

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