Inkarnation und Empathie

Kester Brewin schreibt momentan interessante Blogeinträge rund um das Thema Inkarnation. Für ihn gründet die Bedeutung der Adventszeit im Inkarnationsereignis. Das Geheimnis der Inkarnation ist sowohl faszinierend wie auch grundlegend für mein Verständnis von gelebter Nachfolge in unserer Welt.

Unter dem Titel »Gott blickt durch die verzerrte/verzerrende Sicht der Menschheit« erschien der vierte Eintrag Kesters zur Inkarnation. In diesem Eintrag thematisiert er eine interessante Sichtweise der Beweggründe Gottes Mensch zu werden. In Anlehnung an Zizek formuliert er einen möglichen Beweggrund als Gottes Wunsch sich selbst aus der verzerrten Perspektive der Menschen wahrzunehmen. In diesem Beweggrund verbirgt sich die Wurzel wahrer Empathie. Wir lassen uns nicht auf „den Anderen“ ein um ihn möglichst deutlich zu erkennen, sondern um nah genug zum Anderen zu gelangen um wahrzunehmen wie der Andere uns sieht.

In diesem Zusammenhang finde ich auch die Gedanken Bubers sehr spannend, dass wir in der Begegnung mit dem Anderen zu uns selbst werden. In der Begegnung mit dem Anderen erfahren wir sehr viel über uns selbst, darüber wie der Andere mich sieht, wie er mich wahrnimmt. Dies gilt selbstverständlich für alle Beteiligten.

Meiner Ansicht nach eröffnet dieser Gedanke eine größere Weite der Menschwerdung Gottes. Sie betont das Beziehungsgeschehen dem wir das Attribut Gott zuweisen auf eine eindrückliche Weise. Gott macht sich auf den Weg zu seinen Geschöpfen um durch deren Perspektive wahrzunehmen wie diese ihn wahrnehmen. Er durchbricht eine gewisse Trennung, öffnet sich, und blickt mit neuen Augen auf „sich selbst“.

Kester zitiert in seinem Eintrag eine Aussage Slavoj Zizeks, in der er diese Sichtweise auf den Punkt bringt:

Christus musste nicht nur dazu erscheinen um der Menschheit Gott zu offenbaren, sondern auch um Gott sich selbst zu offenbaren.

Darin sieht Kester das Zentrum des Erdbebens das durch die Inkarnation ausgelöst wurde. Was er daraus folgert halte ich ebenfalls für zentral. All unsere inkarnatorische Praxis sollte von dieser Haltung geprägt sein. Wir interagieren nicht aus dem Grund mit dem Anderen weil wir glauben ihm helfen zu müssen heil zu werden, sondern weil wir davon ausgehen, dass wir ihn benötigen um selbst heil zu werden. So verstanden bekommt inkarnatorisch verstandene „Mission“ eine sehr gute und stark dialogisch geprägte Bedeutung.

5 Reaktionen

  1. Das impliziert ja auch den Gedanken einer Selbsterlösung Gottes durch die eigene Menschwerdung, was wiederum in vielerlei Hinsicht extreme Konsequenzen für die Menschen haben könnte. Würde man dem Folgen, müsste man vielleicht auch akzeptieren, das ein Großteil der Armut das ‚Kind‘ des westlichen Begehrens ist, wobei das Begehren nur das verschobene Objekt a könnte, welches Gott als Ursache in sich trägt. Wenn auch eine totale Erlösung nicht möglich ist, käme man ihr vielleicht in dieser Mensch- oder Armenwerdung am nächsten. Könnte das evtl an die Stelle des alttestamentarischen Opfermythos treten?

  2. „Wir lassen uns nicht auf „den Anderen“ ein um ihn möglichst deutlich zu erkennen, sondern um nah genug zum Anderen zu gelangen um wahrzunehmen wie der Andere uns sieht.“

    Insgesamt sehr spannender Artikel, der auf Deinem Posterous Eintrag aufbaut. An dieser (von mir zitierten) Stelle sehe ich es etwas anders. Ich denke, dass es immer eine Mischung sein wird, warum wir uns auf andere Einlassen – mit Sicherheit ist der hier beleuchtete Grund eher ein selten gesehener, aber nicht allein bestehend.

    Genau.Wie siehst Du das?

  3. Danke für eure Kommentare.

    Würde mich sehr interessieren wie du, Trupedo, den Gedanken der Menschwerdung im Sinne einer Erlösung Gottes mit dem Opfermythos in Verbindung bringst. Eine nähere Ausführung zu klein a und dem Begehren würde mich auch interessieren.

    Martin und Chris, ich denke auch nicht, dass es sich hier um eine Art egoistischer Nabelschau handelt und dass der Wunsch sich auf den Anderen einzulassen lediglich diesem Beweggrund folgt. Interessant ist jedoch, dass der Andere mir immer in gewisser Weise fremd bleiben wird. Ich begegne Ihm, nehme Ihn war und erkenne etwas von Ihm. In dieser Nähe erkenne ich jedoch auch eine Menge über mich selbst. Mir geht es hier mehr um den Aspekt zunächst nichts bringen zu wollen, sondern offen zu begegnen, mich auf einen Dialog einzulassen. Dazu ist sicher auch „meine Begegnung“ wichtig, ein Geben und Nehmen, meine Präsenz oder die Präsenz des Anderen ist jedoch nicht alles, dem Ereignis der Begegnung kommt eine wichtige Bedeutung zu.

  4. […] angeführt, dass Sprache nur eine Übereinkunft bestimmter Symbole ist. In Anlehnung an den letzten Eintrag möchte ich heute aus dieser Sicht etwas zum Werden des Ich am Du […]

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