…also bin ich.
Auf der Suche nach einem stimmigen relationalen Ansatz stolperte ich gestern beim Lesen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf einen Gedanken, der mich zu einer Dekonstruktion des bekannten Satzes von René Descartes führte.
Descartes war im Angesicht aller Aporien zur Aussage „Ich denke, also bin ich!“ gekommen. Diese stellte er als unerschütterliche Grundlage fest. Auch wenn alles andere ungewiss sei, so sei dennoch er es der zweifle, und da er in diesem Zweifeln sich erkannte, so stehe zumindest fest, dass er existiere. Auf der Basis dieser Erkenntnis rekonstruierte er schließlich die Erkenntnisfähigkeit.
Auch wenn, wie immer die Möglichkeit besteht dass ich mich irre, so schließe ich dass dieser Aussage und der Erkenntnis die Annahme der Definition einer Person nach Boëthius steht. Boëthius hatte die Person ja als unteilbare („individuelle“) Substanz rationaler (vernünftiger) Natur bezeichnet. Das denken oder zweifeln im Sinne von Descartes fände demnach innerhalb des Individuums statt, möglicherweise sogar unabhängig seines Umfeldes.
Die klassische Definition einer Person nach Boëthius gilt in Kreisen die sich mit relationalen Ansätzen beschäftigen als abgelöst. Person wird vielmehr von den Beziehungen her gedacht. Es wird von den Vielen zum Einzelnen gedacht. Die Beziehungen spielen dabei eine besondere Rolle. Es geht mehr um die Interaktion, den Prozess als um eine Substanz. Das autonome Selbst von dem Boëthius spricht wird lediglich als Illusion wahrgenommen.
Die Person ereignet sich in der Begegnung. Erst in der Begegnung mit einem Anderen entsteht die Person. Ohne Du gäbe es demnach kein Ich. Auf das Plakat unseres Workshops im Rahmen des Emergent Forums schrieb ich auf anraten von Tobias Künkler »Wer bin Ich ohne Dich?« – diese Frage gemäß eines relationalen Denkens zu beantworten führte zu der Antwort: »Ohne Dich wäre Ich nicht.«
Wollte man einen ähnlichen Satz wie Descartes formulieren, könnte man sagen »Du begegnest mir, also bin ich!« Dazu sollte noch gesagt werden: »Ich begegne dir, also bist du!« Mit diesen Aussagen deutet sich die Interdependenz an, die Person wird von der Begegnung, von den Beziehungen her gedacht. Einander zu begegnen wird als konstitutives Ereignis der Person verstanden. Dennoch geht das Individuum nicht im Wir auf, sondern steht in Beziehung zum Du.
Wie liest sich dein Satz zu dieser Thematik?
Also mein Satz könnte auch lauten: „Wir sind.“
Das macht es für mich einfacher zu denken und hilft mir, Dinge immer in Beziehung zueinander zu sehen.
Ich erlebe mich immer als einen Teil meines Umfeldes – und bekomme somit alles Schwingungen und Stimmungen mit, die sich auf mich auswirken – mir zeigen, wer ich bin aber auch wer „wir“ sind.
Gerade weil wir nicht losgelöst voneinander existieren, macht das „wir sind“ noch mehr Sinn für mich.
Hm.
Aber auch ich kann mich irren. Hm.
danke für deine antwort martin.
ich stimme dir in weiten teilen zu, würde jedoch nicht direkt „wir sind“ als equivalent betrachten. gerade dann wenn ich von den beziehungen her denke, ist ein ich und ein du wichtig, die personen gehen nicht im kollektiv – wir – auf, sondern werden von den beziehungen gedacht und bringen ihre eigenheiten mit ein. daher trifft es für mich das oben erwähnte satzpaar noch etwas besser.
[…] Am nächsten Tag hat sich Daniel dann von den Menschenrechten ausgehend sehr gute Gedanken gemacht, auf die ich hier auf jeden Fall auch noch hinweisen möchte: …also bin ich. […]