Tanzverbot

An so genannten „stillen Feiertagen“ wird in vielen Bundesländern ein Tanzverbot gesetzlich festgelegt (dazu empfehle ich den Wikipedia-Artikel) . In den letzten Jahren wurde die Durchführung des Verbots von Veranstaltungen, die der Unterhaltung dienen, wozu bspw. auch Sportveranstaltungen zählen, nicht mehr streng kontrolliert, da das Ordnungsdezernat Frankfurt/Main in diesem Jahr zu Karfreitag und Ostern die Durchsetzung des Tanzverbotes forderte, entwickelte sich erneut eine öffentliche Debatte darüber.

Auch wenn ich die kirchlichen Feste, wie bspw. Weihnachten, Ostern und Pfingsten, hinsichtlich der gemeinsamen Erinnerung an die Erzählungen, auf die sich Selbstverständnis und Weltbild von Christen gründen, für sinnvoll erachte, und es genieße, dass diese Tage arbeitsfreie Tage sind, stehe ich derlei Forderungen äußerst kritisch gegenüber. Vor allem stört mich die Haltung, dass ein bestimmtes religiöses Gefühl auf die gesamte Bevölkerung projiziert wird, und noch mehr, durch gesetzliche Regelungen ein bestimmter Gefühlszustand, oder zumindest eine gewisse Ehrfurcht oder Achtung verordnet wird.

Wir leben – entgegen anders lautender Äußerungen – nicht in einem christlichen Land (was auch immer das bedeuten könnte). In unserem Land gibt es Menschen, die sich ganz unterschiedlichen Religionen zugehörig fühlen, oder sich bewusst von jeglicher Religion abwenden. Ich freue mich an der Religions- und Meinungsfreiheit, die es uns möglich macht, auf unterschiedlichste Weise unser Leben, auch öffentlich und gemeinsam, zu gestalten. Die Großkirchen erfahren gewisse Vorzüge, so dass einige wichtige kirchliche Feiertage auch für die Bevölkerung zu arbeitsfreien Tagen erklärt wurden. Darüber können wir uns freuen, und die meisten von uns genießen es an diesen Tagen nicht arbeiten zu müssen.

Sich jedoch vorzumachen, dass ein freier Tag, oder ein Tanzverbot, die Menschen mehr darüber ins Nachdenken bringt, an was ein solcher Tag erinnern möchte, halte ich für fatal. Zum einen lädt ein freier Tag dazu ein, ihn so zu gestalten, wie die betreffende Person dies gerne möchte. Und dann bietet er für viele Menschen die Möglichkeit etwas mit Freunden, Familie oder Verwandten zu unternehmen. Hier geht es meist um Begegnung, und nicht so sehr um eine „große Erzählung“.

Reglementierungen wie ein Tanzverbot, sollen zur Besonnenheit aufrufen. Aber tun sie das wirklich? Durch das offene Fenster nehme ich wahr, dass meine Nachbarn grillen und sich dabei fröhlich unterhalten. In einer anderen Wohnung läuft ein spannender Film, den Geräuschen nach zu urteilen, geht es dabei auch um gewalttätige Auseinandersetzungen. Wieder andere schlendern die Straße entlang und unterhalten sich, einige fahren mit dem Auto oder der Bahn von A nach B. In meiner Nachbarschaft ist es nicht ruhiger als an anderen Wochenenden. Die Menschen scheinen auch nicht nachdenklicher zu sein. Mir scheint, als seien Verbote ein Holzweg, der stärker auf die Verherrlichung der Tradition aus ist, als auf eine positive Besinnung.

Wie wäre es, wenn an einem Karfreitag Christen, den Dialog – bspw. auf künstlerisch kreative Weise – mit ihrem Umfeld suchen würden (womit ich nicht sagen möchte, dass es dies nicht gibt). An einem solchen Tag gäbe es Themen genug, die auf einer Basis ins Gespräch gebracht werden könnten, von dem alle Beteiligten profitieren würden, egal nach welchen Idealen sie leben.

Im Tod am Kreuz stirbt nicht nur Jesus, für mich steckt im Leben und Tod Jesu auch eine grundlegende Kritik an Gebräuchen, die sich über die Menschen stellen, sie einengen und ihnen vorgeben wie es zu denken und handeln gilt. Mit dem zerrissenen Vorhang im Tempel bricht Gott aus der Gefangenschaft in einer beschaulichen Wohnung aus, und macht sich auf den Weg zu den Menschen. Daher geht es hier, neben allem Andenken an den Tod, auch um ein Hinterfragen von Tradition. Wenn also ein Bischof sagen kann: „Die Ruhe am Karfreitag überhaupt rechtfertigen zu müssen, ist für mich eine Zumutung.“, dann wünsche ich mir neu über Karfreitag und Ostern nachzudenken, und endlich in den Dialog mit der Gesellschaft einzutreten, und nicht an Tradition und einer Exegese aus vergangenen Jahrhunderten fest zu halten.

Nach diesem Schwall von Gedanken, möchte ich dennoch nicht vergessen, danach zu fragen, wie ihr darüber denkt, und freue mich auf eure Kommentare …

11 Reaktionen

  1. Ich stimme Dir zu, auch mir erschließt sich ein gesetzliches Tanzverbot nicht. Außer vielleicht einem generellen Tanzverbot ausgeweitet auf 365 Tage im Jahr … ;)
    Das mit der „christlichen Gesellschaft“ ist natürlich Definitionssache. Daß unsere (wessen?!) Gesellschaftsordnung auf „christlichen Werten“ (welchen?) basiert, kann man aber meiner Ansicht nach schon sagen (irgendwie). Wobei man vieles natürlich nicht nur mit „christlichen Wertvorstellungen“, sondern auch mit diversen philosophischen Überzeugungen begründen könnte. Oder sogar sollte? In diesem Zusammenhang drängt sich mir, ohne die Diskussion über den Themenkomplex in Deutschland verfolgt zu haben, auch generell die Frage zwischen Trennung von Staat und Kirche in Deutschland auf. Wie weit soll oder darf der Staat auf Basis „christlicher Werte“ regulierend eingreifen? Wie stehst Du denn zum Beispiel zu verkaufsoffenen Sonntagen? Oder der Abschaffung des Religionsunterrichts?
    Auf der anderen Seite las ich erst diese Woche im Evening Standard (http://www.thisislondon.co.uk/standard/article-23943583-we-must-end-this-welfare-dependency.do) folgendes: „The fascinating feature of church schools is that people who never feel the need to attend church still want to get their children into them. […] The question for politicians is, what makes those schools so popular. […] Partly it is to do with the ethos of those schools: they are grounded on Christian beliefs and this is manifested in their ethical framework. Catholic schools, for instance, generally show a discernible difference from others, not only in pupils‘ academic results (these are usually slightly better than the norm) but also in the moral and social awareness of their students. It’s a dimension of education that other schools can and should take to heart.“
    Aber damit würde ich nun ja auch noch eine Bildungsdiskussion anstoßen …

    Zurück zum Tanzverbot: So eine, wortwörtlich, weltfremde Regelung, trägt nicht unbedingt dazu bei, Menschen zum Nachdenken anzuregen, sondern motiviert sie mehr ein weiteres Mal „dagegen“ zu sein. Wutbürger und Dagegentum sind ja sowieso im Trend zur Zeit, da ist doch jede zusätzliche Gelegenheit willkommen … ;)

    Viele Grüße,
    Götz

  2. Danke für deine Gedanken, Daniel. Ich bin selbst irgendwie unsicher bei dieser Geschichte. Einerseits fühle ich mich auch unwohl, weil die Christen irgendwie wieder als Spielverderber dastehen und sich auch was vormachen, wenn sie denken, dass durch Verbote Besinnung entsteht (das stellst du ja schön da). Ich stimme dir auch zu, dass wir kein christliches Land sind und möchte auch in keinem leben.

    Dennoch denke ich, dass vieles aus unserer christlich-jüdischen Tradition auch im Gebilde eines Staates viel Sinn macht. Da geht es um ethische Fragen, aber auch um Fragen des Lebensrhythmus. Zum Beispiel finde ich es gut, dass es das Wochenende gibt und den Sonntagsschutz – wenn auch nicht für meine eigene Berufsgruppe :-) Ich glaube, auch eine Gesellschaft und Institutionen brauchen Zeit zum Durchatmen. Und auch der Sonntagsschutz lässt sich ja nur durch Verbote durchsetzen, oder? Ich bin mir aber eben nicht ganz sicher, ob der Vergleich legitim ist oder das Tanzverbot noch auf einer anderen Ebene liegt als die Frage der Arbeitsfreiheit.

  3. Die Idee hinter dem ‚Tanzverbot‘ kann nur verstehen, wer auch den Grund und die Geschichte hinter dem Feiertag kennt.

    Ich bin aber ein ausgesprochener Gegner von Überreglementierung, die zudem noch sinnlos erscheint und nur für wenige Menschen wirklich nachvollziehbar ist.

    Eine weitere Frage ist das Vergleichen von christlichen Einflüssen, ‚Tanzverbot‘ vs ‚Sonntag‘. Nach meiner Meinung kann man das nicht vergleichen. Der Wochenende gibt der Woche einen Rhythmus, der arbeitsfreie Sonntag ist Tag zum Erholen und gibt somit dem Alltag eine gewisse Abwechslung.

  4. War auf jeden Fall ein kreativer Umgang mit dem Tanzverbot, stumm zu hunderten in Frankfurt mit iPods und mp3-Playern zu tanzen. Glauben ist ein Angebot, das lässt sich nicht verordnen, und mit Verboten erreicht man genau so viel, wie wenn man einen Gummiball auf die Erde wirft in der Erwartung, er möge genau dort liegen bleiben. Die Art von Protest in Frankfurt ist ein best case Szenario, ein sehr freundlicher Umgang mit einem arroganten, lebensfeindlichen Gehabe. Man könnte doch auch ins Feld führen, dass es zu keinem Tag des Kirchenjahres mehr Grund zum Tanzen gibt als an Karfreitag, wenn man ernst nimmt, welche Bedeutung der Tod Jesu für das Einzelschicksal haben kann. – Andererseits möchte ich auch nicht in Abrede stellen, was Simon sagt. Die Rhythmisierung des Lebens ist unbedingt wichtig für unser Wohlergehen und wir brauchen besondere Tage. Dieser Bereich wankt in unserer Gesellschaft etwas. Mal von Weltmeisterschaften abgesehen… ;-)

  5. Das ist hier ja mehrheitlich Contra-Tanzverbot. Meine Frage: Hat das Tanzverbot schlechte Auswirkungen? Hat es keine gute Auswirkungen?
    Klar, im Alter von 20 Jahren fand ich das blöd, dass die Disco an diesem Tag geschlossen hatte. Dann hat man eben mal etwas anderes unternommen. In der Regel hieß das, der Abend wurde ruhiger als andere Freitag, weniger Alhohol und laute Musik, mehr Gespräche mit Freunden.
    Natürlich führt ein Tanzverbot nicht automatisch und grundsätzlich zu einer persönlichen Besinnung auf wahre Werte, zu einem Denken an Gottes Tat und mein eigenes Wesen, schon gar nicht in einer säkularisierten Gesellschaft. Aber dennoch: Es nimmt mich aus meinem normalen Rythmus, aus Karfreitag wird etwas anderes als ein ganz anderer freier Tag. Es erinnert mich, dass es mehr gibt Arbeitstage und arbeitsfreie Tage, dass es zumindest sinnvoll ist, mal innezuhalten. Wenn das dazu führt, dass Leute mit MP3-Playern lautlos tanzen – ist doch schön! Lieber eine kreative Protestaktion, als dass keiner mehr wahrnimmt, dass wir ein christliches Erbe haben hinter dem vielleicht sogar ein lebendiger Gott stecken könnte. Protest ist sicher nicht die schlechteste Reaktion auf Glaube. Ich bin sicher kein Mensch, der sehr an Traditionen hängt, glaube aber, dass manche Traditionen Positives bewirken können. Mir hat Karfreitag gutgetan.

  6. Ich fänd’s mal interessant an Karfreitag das Internet abzuschalten. Finde Tanzen hält mich weniger von Besinnung ab als Surfen. Und weil ich selbst nicht die Disziplin besitze das Telefon und den Rechner aus zu lassen wäre mir so ein gesetzlicher ‚Day Off‘ eine grosse Hilfe.
    Tut mir leid für Euch anderen die Ihr’s auch selbst hinbekommen hättet oder die keine Lust auf Internetverzicht haben und vielleicht sogar im Netz zur Besinnung gekommen wären, oder die von Euch, die vielleicht lieber Besinnungslos geblieben wären. Mir würde das
    helfen. Und Ihr könntet ja solange Tanzen gehen.

  7. @Ruben
    Nur mal nebenbei: Wo kommt denn der Sonntag her?
    Dass der siebte Tag der Woche frei von aller Arbeit sei, ist jüdischen Ursprungs: der Sabbat (siehe: 1. Buch Mose Kap.2 und 2. Mose 20,8ff).
    Bei uns Christen ist es der Sonntag, weil der 1. Tag der Woche in Erinnerung an die Auferstehung Christi als Feiertag gehalten wird.
    Der Sonntag also als wöchentliches Osterfest :-)
    Schaff Ostern als Feiertag ab, und es gibt auch keinen Grund mehr für einen freien Sonntag!

  8. Arne hat einen interessanten Eintrag dazu geschrieben.

    Hier geht’s hin …

    Also mein Plädoyer: die Kirchen sollen ihre Herrschaft als Dienst an den Menschen verstehen. “Der Sabbath ist um der Menschen willen da”. Insofern ist nicht unbedingt die Frage, wie man auf gesetzlicher Ebene dahin wirkt, dass die Menschen des Karfreitags gedenken, sondern die Frage würde lauten: wie sähe ein Dienst der Kirche an der Welt im Lichte des Karfreitags-Oster-Geschehens aus?

  9. @Schnattergans:

    Mich würde mal interessieren, wieviele von uns Christen eigentlich den Sonntag im Sinne des Sabbats ernst nehmen. In Exodus ist die Rede davon, daß sogar der Bau der Stiftshütte – dem Ort der Begegnung zwischen Gott und seinem Volk – unterbrochen werden mußte für den Sabbat, das Ruhen in der Gegenwart Gottes (kein einfacher Urlaub oder so) an diesem Tag höher angesehen wurde als das Geschäftig Sein für Gott. Wieviel Prozent der Christen tun das wohl? Also, ich persönlich leider meistens nicht…

    Jetzt stell Dir mal vor, uns würde auf einmal der Sonntag als Ruhetag weggenommen werden. Was würde passieren? Ich hoffe darauf, daß wir als Christen uns endlich wieder Gedanken über den Sabbat machen würden – nicht aus Pflichtbewußtsein, sondern aufgrund der Kraft, der von diesem Ruhe- und Besinnungstag ausgeht. Und dann stelle ich mir vor, wie mächtig es sein könnte, wenn wir Christen unseren Arbeitgebern sagen würden, daß wir am Sonntag nicht arbeiten werden (also dem Profitleben nachgehen; ich meine nicht soziale Dienste oder so, die sich nicht verschieben lassen). Das wäre ein Bekenntnis und würde mich gleichzeitig herausfordern, diesen Tag endlich wieder zu reflektieren.

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