Slavoj Žižek, eine erste Begegnung

Vor einiger Zeit habe ich ein DIN A4 Blatt vorbereitet, das eine erste Begegnung mit Slavoj Žižek ermöglicht, und als eine Art Begegnungsnotiz in den Ordner der Studentinnen und Studenten wandern könnte. Wie es so ist, wandelt sich alles, und so habe ich die Notizen der ersten Begegnung etwas überarbeitet.

Slavoj Zizek in Liverpool
Slavoj Žižek in Liverpool (2008), von Andy Miah (Creative Commons)

Philosoph, Kulturkritiker und Psychoanalytiker.
Geboren am 21. März 1949 in Ljubljana, Slowenien.

Žižek gilt als einer der bekanntesten, aber auch umstrittensten Intellektuellen unserer Zeit. Er wurde durch seine Übertragung und Weiterentwicklung der Psychoanalyse Jacques Lacans bekannt.

Seine Bezugnahme auf die Populärkultur, seine Gesellschaftskritik und sein Stil – ständig zwischen Themen und Thesen hin und her zu springen – zeichnen ihn aus. Er wird zur Strömung des Poststrukturalismus gerechnet, wovon er sich jedoch distanziert. Den Wunsch selbst verstehen zu wollen, bezeichnet er als Antrieb zur Philosophie.

Nein zu allem

Dreh- und Angelpunkt von Žižeks philosophischem Denken ist der hegelsche Negativitätsbegriff. Dabei geht es ihm um die Aussetzung des Bestehenden. »Damit etwas wirklich Neues entstehen kann, muss das Alte beseitigt werden.«1 In diese Richtung geht auch sein Denken hinsichtlich gesellschaftlichen Wandels, der allein durch Revolution zu vollziehen ist.

Nichts tun

Für ihn sind Theorie und Praxis keine getrennten Einheiten. Eine Theorie muss nicht in die Praxis umgesetzt werden, sie muss lediglich angenommen werden und ist damit bereits Praxis. Philosophie versteht er als eingreifendes Denken. Theorien geben keine Handlungsanweisungen, verschieben jedoch den Blick des Subjekts auf sich und die Welt, und verändern dadurch das Subjekt und die Gesellschaft. Aktionismus hilft niemandem, er bestärkt vielmehr das Bestehende, daher ist es oft besser nichts zu tun, und den Bezugsrahmen in Frage zu stellen.

Politik

Seiner Ansicht nach muss sowohl die Wirtschaft als auch die Politik wieder „politisiert“ werden. Er wird als linker Vordenker wahrgenommen. Charakteristisch für sein Denken ist eine scharfe Kapitalismuskritik. Er bricht in diesem Zusammenhang des Öfteren Tabus, und prangert nicht nur die USA, sondern auch China und andere ehemals kommunistische Staaten an. Demokratie bezeichnet er als System der Scheinbeteiligung. Seiner Ansicht nach führt Toleranz in die Irre und die „Dalai-Lama-Weisheit“ zur Katastrophe. Er fordert Auseinandersetzung. Er beteiligt sich an der Entwicklung einer (neuen) kommunistischen Theorie, und stellt fest, dass der Kommunismus nur dann einen Chance hat, wenn er die Tugenden des Christentums aufnimmt.

Christentum

Sich selbst bezeichnet er als Atheist, und sagt dennoch „insgeheim glauben wir alle.“2 In seinen Ausführungen zum Christentum bezieht er sich auf Hegel, Freud und Lacan. In diesem Sinne sieht er im Tode Christi am Kreuz den Tod des jenseitigen Gottes. Die Auferstehung versteht er nicht personal, sondern sieht im Heiligen Geist das konstituierende Geschehen einer liebenden Gemeinschaft, die im Sinne Christi lebt.

Wahrheit

Žižek ist ein Mann, der Position bezieht. Er hält wenig von Konsens und Toleranz – um ihrer selbst willen. Darüber im Klaren, dass keine objektive, allgemein gültige Wahrheit bezogen werden kann, sieht er dennoch die Chance, dass die universale Dimension der Wahrheit im Beziehen einer Position aufleuchtet.

Kino

Das Kino bezeichnet er als die perverseste Kunstform, »da es dir nicht gibt was du begehrst, sondern dir beibringt wie du begehren sollst«.3 Unser Begehren ist nicht natürlich, sondern künstlich und wird uns von außen beigebracht. Wir brauchen das Kino um unsere heutige Welt zu verstehen. Wir müssen uns der Fiktion des Kinos zuwenden, um zu erkennen was realer ist als die Realität.

Wiederholung und Fragen-Verdrehung

Žižek präsentiert weder in seinen Büchern noch in seinen Vorträgen schlüssig aufgebaute Argumentationslinien. Er springt vielmehr von einem Thema zum anderen, streut Thesen und Witze ein. Stilistisch und inhaltlich an vielen Stellen jenseits dessen was als politisch korrekt angesehen wird. Auf diese Weise kommt es zu vielen Wiederholungen, mittels derer er seine Themenschwerpunkte aus den unterschiedlichsten Richtungen beleuchtet.

Seine historischen Bezüge, sind keine »wörtlichen« Wiederholungen der Theorien seiner Protagonisten, sondern eher Wiederholungen dessen was in ihren Theorien möglich gewesen wäre. Reinhard Heil schreibt: »Gerade in den scheinbar nicht passenden Elementen findet die Wahrheit einer Theorie ihren Ausdruck.«4

Er ist bekannt für seine so genannte Fragenverdrehung. Die Frage Žižeks lautet nicht: „Was können wir vom Leben über den Cyberspace lernen“, sondern umgekehrt: „Was können wir vom Cyberspace über das Leben lernen?“.

Hinsichtlich der Psychoanalyse kann die Fragen-Verdrehung folgendermaßen aussehen: »Die Frage ist also nicht: Wie kommt man von der individuellen auf die soziale Ebene? Sie lautet vielmehr: Wie muß die äußerlich-unpersönliche gesellschaftlich-symbolische Ordnung institutionalisierter Praktiken und Glaubensvorstellungen strukturiert sein, wenn das Subjekt seinen ‚Verstand‘ bewahren und ‚normal‘ funktionieren soll?«5

Er schafft mit seinem Denken einen neuen Blick auf das Gewöhnliche und bietet eine Vielzahl alternativer Sichtweisen an.

Fußnoten:

  1. Reinhard Heil, Zur Aktualität von Slavoj Žižek, 9.
  2. Vgl. Slavoj Žižek, Die gnadenlose Liebe.
  3. Vgl. Slavoj Žižek, The Pervert’s Guide To Cinema.
  4. Reinhard Heil, Zur Aktualität von Slavoj Žižek, 12.
  5. Slavoj Žižek, Parallaxe, 11.

1 Reaktion

  1. Yeah, sehr gute Einführung. Ich glaube, jetzt hab ich einiges kapiert, was mir vorher unklar war. Sowas kannst Du ruhig öfter machen, insbesondere zu anderen Denkern. Wenn Du Lust hast, natürlich. ;-)

Reagiere darauf

*