Politische Krawalle
An diesem Wochenende verbrachte ich viel Zeit an meinen digitalen Empfangsgeräten. Ich las Artikel, sah mir Nachrichtensendungen, Brennpunkte und Reportagen an, las sehr viele Tweets und war schockiert von manchen Livestreams.
In Hamburg fand der G20-Gipfel statt, und wie sich bereits im Vorfeld angekündigt hatte, kam es zu Protesten. Darunter waren sehr viele Demonstrationen, die ohne Gewalt auskamen und auf ihre Forderungen durch Transparente, Reden, Musik, Aktionen, Sprechchöre und das gemeinsame Gehen aufmerksam machten. Solche Proteste werden von Gesellschaft und Politik akzeptiert und unterstützt.
Es gab jedoch auch andere Proteste, die durch Gewalt, Zerstörung und Sabotage ihren Forderungen Nachdruck verliehen. Diese Proteste werden schnell als »sinnlose Gewalt« oder »wahllose Zerstörung« bezeichnet und werden politisch und gesellschaftlich weitestgehend geächtet.
Am Freitag schrieb ich auf Twitter:
Für die Randale des schwarzen Blocks in Hamburg habe ich kein Verständnis. Alles was ich bisher gesehen habe wirkt beliebig und austauschbar
Wer, wie ich, Gewalt und Zerstörung nicht für legitime Mittel der Meinungsäußerung ansieht, wird durch derartige Krawalle provoziert. Es scheint als seien ›gewaltgeile Personen‹ am Werk, die ausser der wahllosen Zerstörung keine Botschaft haben. Bei weiterem Nachdenken wirkte diese Annahme auf mich oberflächlich. Einige Äußerungen von Politikern, die den Krawallen jegliche politische Dimension absprechen, machten mich zusätzlich unzufrieden.
Foto: Thorsten Schröder (CC-BY)
Im Nachdenken über die Krawalle kamen mir zwei mögliche Erklärungen in den Sinne. Bei den beteiligten Personen könnte es sich um solche handeln, die Gewalt als legitimes Mittel ansehen ihren Forderungen Aufmerksamkeit zu verschaffen, einerseits da sie sich als Personen wahrnehmen deren Forderungen/Anliegen von Politik und Gesellschaft nicht gehört werden. Mittels der Verstärkung durch Zerstörung fordern sie Aufmerksamkeit ein. Es könnte sich also um Personen handeln, die sich am Rande der Gesellschaft wahrnehmen, ausgeschlossen aus dem politischen Diskurs. Andere könnten den Ideen radikaler Linker oder aggressiver Humanisten folgen, die einen politischen Umsturz postulieren. Ein Umsturz in diesem Sinne erkenne ich beispielsweise in Schriften von Žižek oder dem Zentrum für politische Schönheit. Ein solcher Umsturz wird demnach dann möglich, wenn durch Krawalle und Chaos die bestehende Ordnung gestört wird. Erst nachdem die bestehende Ordnung zerstört ist, öffnet sich, gemäß der beschriebenen Ideen, der Weg für eine neue gesellschaftliche Ordnung.
Durch die Beobachtungen von Martin Kaul in der TAZ und das Interview mit Simon Teune in der Süddeutschen wurde ich an die Flugschrift ›Der kommende Aufstand‹ aus den Reihen des ›Unsichtbaren Komitees‹ erinnert. In dieser Schrift geht es um die Notwendigkeit einer neuen Gesellschaftsordnung, die auch durch Gewalt, Zerstörung und Sabotage erreicht werden kann.
Auch wenn ich die angewendeten Mittel für unangemessen halte, erscheint es mir wichtig zu bedenken, dass es sich bei den Krawallen nicht um sinnentleerte Gewalt handelte, sondern dass hier Personen beteiligt waren die einen gesellschaftlichen Umsturz wollen. Der ›schwarze Block‹ ist keine Organisation, sondern eine Protesttaktik bei Demonstrationen. Einige der Personen, die diese Taktik anwenden, sind meiner Ansicht nach in dieser Ideengeschichte zu verorten. Gewalt, Zerstörung und Sabotage werden von einigen davon als legitime Mittel zur Verdeutlichung ihrer Anliegen – und dem Ziel des gesellschaftlichen Umsturzes – angesehen. Auch wenn sich am Wochenende in Hamburg ganz unterschiedliche Personen an den Krawallen beteiligten, greift es meiner Ansicht nach zu kurz die Krawalle entpolitisieren zu wollen.
Ja und nein. Ich glaube schon auch, dass Teile des gewaltsamen Protest politisch motiviert sind, aber eben nur Teile. Mit Sicherheit ist auch »sinnlose Gewalt« und »wahllose Zerstörung« dabei. Und für mich ist Existenz dieser Komponente viel schwieriger zu glauben als die andere.
Im Übrigen vermute ich, dass das Entpolitisieren des gewaltsamen Protestes von Seiten der Politik mehr Strategie als Überzeugung ist: Indem man der Gewalt die politische Intension abspricht signalisiert man, dass man nicht bereit ist, auf diese Weise gesendete Botschaften überhaupt empfangen zu wollen.
Danke für Deinen Kommentar Daniel!
Die Entpolitisierung als Strategie zu verstehen nicht auf diese Forderungen eingehen zu müssen – da ›die falsche Kommunikationsmethode‹ gewählt wurde – ist auch das, was mich an der durch die Bank vorgetragene Beteuerung am meisten stört. Ich frage mich, ob es für eine Demokratie hilfreich ist die Anliegen bestimmter Strömungen auszublenden, da sie auf eine nicht akzeptierte Weise vorgetragen werden …
Gibt es denn irgendwelche Anliegen der beteiligen „Strömungen“, die in der demokratischen Diskussion in Deutschland nicht vertreten sind? Wir haben doch ein sehr breites Spektrum, von der Linken bis zur AfD.
Vermutlich sind die Anliegen nicht einheitlich und zum Teil auch schon im Diskurs vertreten … würde das die Nichtbeachtung Deiner Ansicht nach rechtfertigen?
Ich denke tatsächlich, dass es nicht nur hilfreich ist, sondern sogar geboten. Das gilt für alle Kontexte: privat, familiär, beruflich, gesellschaftlich, politisch. Ich will „gewaltsame Kommunikation“ nicht akzeptieren (nur bei wirklich kleinen Kindern würde ich da eine Ausnahme machen).
Und dass die Motivation dahinter die ist, auf bestimmte Forderungen dann nicht eingehen zu müssen halte ich für eine Unterstellung. Man stört sich in erster Linie an der „Kommunikationsmethode“. Nicht ausgeschlossen, dass es darüber hinaus zu Trotzreaktionen kommt…