Soziologie und Dialog
Zygmunt Bauman beendet das Buch Collateral Damage: Social Inequalities in a Global Age mit einem Kapitel über Aufgabe und Entwicklung der Soziologie. Dabei bezieht er sich auf eine Rede, die er auf dem Weltkongress der Soziologie 2010 in Götheburg gehalten hatte.
Soziologie wurde aus der modernen Bestrebung geboren die Gesellschaft besser zu machen. Im Laufe der Jahre veränderten sich das Verständnis davon wie eine bessere Gesellschaft aussehen würde und somit auch die Soziologie als solche. Die Bestrebung die Gesellschaft besser zu machen blieb jedoch der unveränderliche Faktor soziologischer Arbeit.
Zu Beginn ihres Bestehens musste sich Soziologie als Wissenschaft etablieren. Dabei zeigte sich ein deutlicher Unterschied des Zugangs wissenschaftlicher Arbeit, während es in anderen Zweigen, im Sinne des Monologs, um die Erarbeitung einer wissenschaftlichen Aussage ging, stand in der Soziologie die Herausarbeitung unterschiedlicher Stimmen und Wahrnehmungen im Zentrum. Ihr ging es eher um Dialog, einen anhaltende Austausch um die Lebenswelt zu erkunden.
»I’d say that the twin roles which we, sociologists, are called on to perform in that dialogue are those of the defamiliarizing the familiar and familiarizing (taming, domesticating) the unfamiliar.«
Bekanntes zu entfremden und Unbekanntes bekannt zu machen bezeichnet Bauman als die Zwillingsrolle der Soziologie im gesellschaftlichen Dialog. Mit großem Geschick müssen Verbindungen, Einflüsse und Abhängigkeiten genau untersucht werden, gleichzeitig sollen fragmentierte und unverbundene Wahrnehmungen der Lebenswelt wieder verbunden werden. Eine weitere Aufgabe ist es, die Denkweise einer Gesellschaft zu betrachten, und sie somit aus dem Unterbewusstsein zu holen und genau zu untersuchen. Auf diese Weise wird sowohl über die gesellschaftlichen Interaktionen ein Dialog geführt, als auch darüber wie diese wahrgenommen werden. Bei diesem Dialog geht es um ein gemeinsames Klären der Angelegenheiten. Die Wahrnehmungen der Lebenswelt wird dabei nicht auf eine Aussage reduziert, sondern durch die zur Sprache kommenden unterschiedlichen Wahrnehmungen multipliziert und erweitert. Das Ziel besteht also eher darin die Unterhaltung am Laufen zu halten als sie zu einem Ende zu bringen.
»To be sure, dialogue is a difficult art. It means engaging in conversation with the intention of jointly clarifying the issues, rather than having them one’s own way; of multiplying voices, rather than reducing their number; of widening the set of possibilities, rather than aiming at a wholesale consensus (that relic of monotheistic dreams stripped of politically incorrect coercion); of jointly pursuing understanding, instead of aiming at the other’s defeat; and all in all being animated by the wish to keep the conversation going, rather than by a desire to grind it to a halt. Mastering that art is terribly time-consuming, though far less time-intensive than practising it. Neither of the two undertakings, nor the mastering and practising together, promise to make our life easier. But they do promise to make our lives more exciting and rewarding to us, as well as more useful to our fellow humans – and to transform our professional chores into a continuous and neverending voyage of discovery.«
Beim Lesen des Kapitels wurde ich wieder daran erinnert wie stark mich dieses Verständnis des anhaltenden Dialogs geprägt hat, und weshalb es mir daher oft schwer fällt denen zu folgen, die ihre Beobachtungen der Lebenswelt – oder vieler anderer Themen – auf einfache Formeln herunter zu brechen und daraus einfache Lösungen ableiten.
Durch diese Art des Dialogs wird, wie Zygmunt Bauman treffend beobachtet, das Leben nicht einfacher, aber sie beinhaltet ein Versprechen es aufregender und bereichernder zu machen. Soziologie gleicht damit einer niemals endenden Entdeckungsreise.
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